Donnerstag, Februar 01, 2007

Einen Tag im Rollstuhl durch Bad Oeynhausen

Einen Tag im Rollstuhl durch Bad Oeynhausen

Einmal wie ein Rollifahrer fühlen: Mit Jürgen Ostermeier in der Innenstadt unterwegs

Bad Oeynhausen (va). Rumms! Der Rollstuhl hängt am Bordstein. "Hihihi." Jürgen Ostermeier genießt das Schauspiel. Er ist Profi im Rolli. Kälte kriecht an meinen Beinen hoch. Passanten schauen mich mitleidig an. Bisweilen fühlt sich der Rollilenker beinah schuldig. Weil er Rampen braucht und flache Bordsteine. Und Einstieghilfen in den Zug. Und Toiletten. Jetzt sitze ich in so einem Ding. Und fühle mich mitnichten schuldig. Ich bin genervt.

Von Alexandra Buck

Zehn Uhr, Johanniter Ordenshäuser, Zimmer 152: Ich bette den Hintern auf das Elektro-Gefährt. Jürgen Ostermeier (60), seit zwei Jahren an den Rollstuhl gefesselt, weist mich ein. "Joystick nach vorn, zurück, rechts, links." Mit einem Schwupps hänge ich halb unterm Holztisch. "Lang-sam", mahnt der Profi. Ostermeiers Beine sind gelähmt. Er will mir die Widrigkeiten des Rollifahrerlebens zeigen. Und in Bad Oeynhausen lauern Stolperfallen. Schon vor der Haustür an der Johanniterstraße. Eine Baustelle blockiert den Gehweg, Autos parken am Straßenrand. Wer durchfährt, rattert über den Weg. Wir rollen in Schräglage über die eingedrückten Platten. Regenwasser hat sich am Bordstein gesammelt. "Fußgänger werden bis zur Hüfte nass, wenn ein Auto da durchfährt, wir bis zum Hals", sagt Ostermeier. Ich rolle schneller. Und hänge sogleich am Bordstein. Drei Zentimeter sind mein Verhängnis.

Ich kippe vornüber. "Scheiße. Gibt`s doch nicht." Ostermeier grölt vor Lachen. Passanten gucken. Und die gucken anders, wenn ich durch die Stadt gehe. Doch ich bin "gehandicapt", wie mein Mitroller erklärt. Das klingt nicht so behindert. Ich überlege, wie ich von Fußgängern behandelt werden will. Meine Erkenntnis: mit dem üblichen Desinteresse. Aber irgendwie doch zuvorkommend. Aber nicht bemutternd. Ich verschiebe den Gedanken. Ich lebe für einen Tag eine Etage weiter unten.

Und fühl mich klein. Das ist das "Reiter-Phänomen". Fußgänger empfinden Reitersleut oft als arrogant. Weil die höher hocken. Auf ebener Strecke am "Westkorso" surrt der Elektrorollstuhl geschmeidig voran. "Sonst ist hier alles voller Hundehaufen", erklärt Ostermeier. Die hat der Regen weggespült. "Du wunderst dich dann, wieso dein Zimmer so stinkt. Krieg das Zeug mal von den Rädern ab." Eine Herausforderung sind lose Steinplatten. Wenn man sie entdeckt. Zwei Zentimeter hebt`s mich aus dem Stuhl, als ich darüberrumpele. Der unerfahrene Rollifahrer bleibt bisweilen hängen. Bis zur Herforder Straße schlagen wir uns unfallfrei durch.

Doch das Kopfsteinpflaster am Badehaus weckt den Rollstuhlfahrer jäh aus seinen Träumen. "Damit wir nicht einschlafen", gluckst Ostermeier, "das ist Rolli-freundlich." Katrin Tjarks (47) hat sich uns angeschlossen, gibt mit ihrem Flitzerolli an und rollt voraus. Zehn Kilometer in der Stunde schafft sie. Wer sitzt, friert bei Kälte. Meine Eisfüße schreien nach Wärme. Stufen hochfahren geht nicht, die Café-Auswahl wird kleiner. Eigentlich schau ich in Schaufenster, wenn ich durch die Innenstadt gehe. Heute guck ich auf Stufen. Denn die sind der Rolli-Feind. Wir trinken Kakao im Lenné-Karrée. "Als nächstes gehen wir einkaufen", sagt Ostermeier und grinst. Also ab zum Supermarkt an der Herforder Straße.

Als ich in der Drehtür hänge, eilt sogleich eine Verkäuferin herbei und befreit mich. Dann huscht sie durch die schmalen Gänge und räumt hektisch sperrige Kisten beiseite. "So königlich haben die mich hier noch nie empfangen", sagt mein Begleiter und deutet auf Fotoapparat und Block, die auf meinem Schoß liegen. "Vielleicht deswegen." Die Gänge bleiben trotz Kamera schmal. Millimeterarbeit am Weinregal. Dann Sackgasse. Eine Dame mit Rollator füllt den Gang aus. "Viel zu eng. Frechheit", meckert sie zu Recht.

Wenigstens erreicht sie die Ware in den oberen Regalfächern. "Ich bin keiner, der ewig meckert", sagt Jürgen Ostermeier. "Aber ich möchte am Leben teilnehmen." Doch Treppen vor Café, Restaurant und Bierstube verwehren ihm das oft. Humor hilft meistens. Doch der Frust ist manchmal stärker.

Vlothoer Anzeiger 31.01.2007

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