Donnerstag, Februar 08, 2007

Fast jeder dritte NRW-Bahnhof für Rollstuhlfahrer ungeeignet

Viel zu steile Rampen, unüberwindbare
Treppen, zu enge oder gar keine
Toiletten – wenn Rollstuhlfahrer mit der Deutschen
Bahn AG fahren, müssen sie sich auf einiges
gefasst machen. „Verbraucher Aktuell“ hat
13 größere Bahnhöfe in NRW auf ihre Rollstuhlfreundlichkeit
getestet. Vier fielen dabei durch.

Mit dem Rolli zum Zug - diesem
Selbstversuch unterzog
sich Verbraucher Aktuell auf 13
Bahnhöfen in NRW. Das Ergebnis:
Die drei Hauptbahnhöfe in
Düsseldorf, Hagen und Hamm
bestanden den Test mit der
Note 1. Sechs Bahnhöfe tummeln
sich im Mittelfeld, vier
Bahnhöfe jedoch fielen durch.
Nach insgesamt 21 Kriterien
checkte Verbraucher Aktuell
gangsbereiche, Toiletten, Parkplätze,
Aufzüge, Kioske und
Fahrscheinautomaten. Kann
der Rollifahrer die Eingangstür
alleine öffnen? Erreicht er alle
Tasten am Fahrscheinautomaten?
Sind die Gänge im Bahnhofskiosk
breit genug?
Wer das Maximum von 21
Punkten schaffte, bekam die
Spitzennote. Bei elf Punkten
oder weniger hieß das Verdikt:
„Kein Herz für Rolli-Fahrer!”
Diesen Aufkleber erhielten
aber auch Bahnhöfe aufgepappt,
die eigentlich einen ordentlichen
Eindruck machten.
Der Grund: Sie patzten bei mindestens
einem von sechs K.o.-
Kriterien: Funktionieren die
Aufzüge? Ist die Toilette behindertengerecht?
Lauern auf dem
Weg zum Gleis unüberwindbare
Hindernisse wie Bordsteine
oder steile Rampen?
Wer hier einmal versagte,
bekam in der Gesamtnote ein
„Mangelhaft“. Ab zwei Verstößen
gegen K.o-Kriterien in verschiedenen
Kategorien wie
etwa Toiletten und Aufzüge
hieß das Urteil „ungenügend,
also sechs”. Vier Bahnhöfe vermasselten
sich so die Note –
Aachen, Düren, Leverkusen-
Mitte und Münster, punkteten
gut bis mittelmäßig, gingen
aber bei wichtigen Prüfungen
in die Knie.
Beispiel Toiletten: Hier lauerten
gleich zwei K.o.-Kriterien:
Ist eine Behindertentoilette
vorhanden? Wenn ja - ist sie
auch wirklich behindertengerecht?
„Viele Rollstuhlfahrer
haben Darmprobleme”, sagt
Wolfgang Siebert von der
Selbsthilfe Körperbehinderter
in Bonn. Da muss es manchmal
schnell gehen.
In Leverkusen, Düren und
Aachen geht es allerdings gar
nicht. Leverkusen hat keine
Bahnhofstoilette. In Düren befindet
sich das nächste Stille
Örtchen im Haus der Stadt – 250
Meter entfernt. In Aachen dient
die Behindertentoilette der
Bahnhofsmission auch als Abstellkammer.
Doch selbst wenn
Leiter, Besen und Eimer entfernt
werden, reicht es nicht,
um den Rolli neben der Toilette
zu parken.
Probleme auch auf dem Weg
zu den Gleisen. Am bequemsten
geht es per Personenaufzug.
Diese Art der Beförderung
bieten aber längst nicht alle
Bahnhöfe – in Aachen, Bochum,
Dortmund und Essen beispielsweise
bringt das Service-Personal
Rollifahrer per Lastenaufzug
ans Gleis. Solche Bahnhöfe
konnten in der Kategorie „Aufzug”
nicht besser als „befriedigend”
abschneiden.
Denn Lastenaufzug ist in der
Regel gleichbedeutend mit
Zeitverlust sowie einem Trip
durch die dunkelsten Ecken der
Bahnhöfe. In Wuppertal etwa
verpasste der Tester den Zug,
weil der Service-Mann gerade
einen anderen Rollifahrer abholte.
Erfreulicher sieht´s da schon
auf den Parkplätzen aus – gut
beschildert und ohne Hindernisse
vom Bahnhof aus zu erreichen,
waren sie nicht nur in
Düsseldorf, Hagen und Hamm,
den Gewinnern, sondern auch
in Bochum, Bonn und Essen. In
Dortmund und Aachen dagegen
fahndeten die Tester vergebens
nach einem behindertengerechten
Auto-stellplatz.
„Freie Fahrt” hieß es für den
Verbraucher-Aktuell-Rolli auf
dem Weg in den Bahnhof. Alle
Eingänge waren ebenerdig
oder mit einer Rampe erschlossen.
Ärgerlich: In Aachen und
Düren ließen sich die schweren
Holztüren aus sitzender Position
nicht ohne Hilfe öffnen.
Wer sich die Warte- und Reisezeit
mit Lektüre verkürzen
möchte, sollte in Aachen, Bonn
und Wuppertal nicht unbedingt
auf den Kiosk vertrauen. In
Wuppertal findet sich der Lladen
auf der unteren Ebene - erreichbar
nur per Aufzug mit
Hilfe des Bahnpersonals oder
über Stufen und Rolltreppen. In
Bonn und Aachen wiederum
verhindern enge Gänge bei Betrieb
den Griff zum Lesefutter.
Höchstnoten, den klammen
Bahnchef Mehdorn in Frankfurtwird´s
freuen, erzielten zumeist
die Fahrscheinautomaten.
Münzen ließen sich bequem
aus sitzender Position
einwerfen. Lediglich an den älteren
Automaten in Bonn, Essen,
Köln und Leverkusen waren
die Displays in rund 1,70
Meter Höhe schlecht zu entziffern.
Die Ergebnisse des Verbraucher-
Aktuell-Tests dürften den
für NRW zuständigen Bahn-
Sprecher Torsten Nehring eher
überraschen. Der nämlich sieht
seine Bahnhöfe „auf einer Skala
von eins bis zehn im unteren
Drittel”. Der Grund: Viele
Bahnhöfe seien bereits über 100
Jahre alt. Damals habe eben niemand
an die Probleme Behinderter
gedacht - und bislang
seien vor allem die größeren
Bahnhöfe umgestaltet worden.
Doch das wollen die Deutsche
Bahn AG und die Landesregierung
von NRW jetzt ändern.
Im Zuge einer „Modernisierungsoffensive”
sollen in einer
ersten Stufe 87 Bahnhöfe
„mobilitätsgerechter” werden.
Wie stets beim Schienenunternehmen
sollten sich Behinderte
allerdings auf Wartezeit einstellen.
Geplante Fertigstellung:
2008.

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