Dienstag, Mai 01, 2007

40 Rollstuhlfahrer kämpften in Rheinsberg um den Deutschlandpokal

RHEINSBERG Auf Eins muss er da sein. Er muss tanzen, obwohl er keine Füße hat. Er muss Grazie zeigen, obwohl er keinen Kopf hat, den er wiegen, keine Knie, mit denen er knicksen kann. Der Rollstuhl muss tanzen, wie auch Renate Beune. Die Bewegung beider verschmilzt zur Tänzerin auf Rädern. So sind es eigentlich zwei, die tanzen, aber eine Einheit bilden – genau wie bei den knapp 40 gleich gesinnten Rollstuhlfahrern, die am Sonnabend in Rheinsberg beim Deutschlandpokal der Breitensportler im Rollstuhltanz teilnahmen.

Zum zweiten Mal zog der Deutsche Behindertensportverband mit den Deutschen Meisterschaften in das Hotel am See "Haus Rheinsberg". Den ganzen Sonnabend über bebte das Parkett in der Turnhalle. 46 Paare traten an und interpretierten Standard- und lateinamerikanische Tänze. Die Besucher konnten sowohl zwei tanzende Rollstuhlfahrer beobachten als auch gemischte Paare: Zu jedem Rollstuhlfahrer gesellte sich dann ein Tänzer, der sich ungehindert bewegen kann.

Genau so ist das auch bei Renate Beune (67), die in der Nähe von Gütersloh wohnt. Detlev Lütgert (42) begleitet sie auf dem Parkett – der Profitänzer sitzt nicht im Rollstuhl. Einmal in der Woche trainieren die beiden und das seit fünf Jahren. 40 Turniere haben sie bisher getanzt. "Davon haben wir 13 gewonnen", rechnet die Tänzerin auf Rädern stolz vor.

Was ein Rollstuhltänzer ganz besonders trainieren muss? "Man muss am Rad den Takt ablesen können", erzählt Renate Beune. "Das ist das A und O." Damit die Preisrichter auch sehen, dass sie den Wiener Walzer tatsächlich im Dreivierteltakt tanzt, muss sie bestimmte Handgriffe beherrschen, mit denen sie den Rollstuhl in Sekunden zum Stehen und Wenden bringt. Auch die Stabilität der Arme ist wichtig – die muss auch der Tanzpartner kontrollieren können. "Tippen Sie mal meine Hand ganz leicht an", fordert Renate Beune auf. Ihre Arme hält sie ausgestreckt, schon bei der leisesten Berührung rollt sie nach hinten. "Sehen Sie, das darf nicht passieren", sagt sie.

Renate Beune erzählt gern, wie es ist, die Schwerelosigkeit auf dem Tanzparkett zu spüren. Wer die Tänzerin kennen lernt, weiß, warum. Als sie 13 Jahre alt war, riss ihr ein schwerer Unfall beide Beine vom Leib. "Erst bin ich noch mit Prothesen gelaufen", sagt sie. Es ist ihr bitterstes Kapitel – dennoch bewahrt sie beim Erzählen die perfekte Haltung, die das Turniergeschäft von ihr verlangt.

Von ihrer Behinderung hat sich Renate Beune nie unterkriegen lassen. Ihr Selbstbewusstsein gab ihr vor fünf Jahren den Mut, bei einem herkömmlichen Tanzturnier einen Profi aufzufordern – das war Detlev Lütgert. ",Um Himmels Willen’ hat er da gerufen", erinnert sich Renate Beune und lacht so glücklich, dass ihr Satinkleid dagegen glanzlos erscheint. Detlev Lütgert musste das Angebot annehmen – Tänzercodex. Ein Walzer war ’s, die ersten Takte gingen gut, doch dann ließ Detlev Lütgert die Hände seiner Partnerin los – mit Schwung räumte sie alle Pokale ab, die auf einem Tisch neben der Tanzfläche standen.

Heute ist es eine Anekdote, Renate Beune könnte viele davon erzählen. Aber die Zeit ist knapp, für Renate und ihren Tanzpartner startet der letzte Durchgang des Turniers. Mit der Startnummer 25 treten sie gegen fünf Duos gleichzeitig an. Samba, Cha-Cha-Cha, Rumba, Jive. Die Schritte sind klar. Sekunden noch, dann rieselt die Musik aus den Lautsprechern. "Wünschen Sie uns Glück", flüstert Renate Beune und rollt siegessicher auf die Tanzfläche.

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